Wie August Petermann den Nordpol erfand by Luchterhand

Autor:Luchterhand
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand
veröffentlicht: 2011-06-30T00:00:00+00:00

16. DER LOTSE GEHT NICHT AN BORD

In England wurde Petermann den »preußischen Weisen« nicht los. In Deutschland brachte er es bis zum »kleinen Bismarck«. Aus der Not, zwischen den Stühlen zweier fremder Kulturen zu sitzen, entwickelte er ein fein kalkuliertes Spiel über Bande. Der Brief, in dem er seinen Londoner Informanten Cartwright anwies festzustellen, woher in der Royal Geographical Society der Wind wehe, ist in dieser Hinsicht bereits verräterisch. Er enthält unter anderem die Bitte herauszufinden, »ob die parlamentarische Belohnung von 5000 £ für jedes Schiff, das sich dem Nordpol bis auf 1° nähert, immer noch gültig ist und sich auch auf ausländische Fahrzeuge bezieht«. Mit der offiziell immer wieder geäußerten Beteuerung, nur England könne seine extravaganten Nordpolpläne realisieren, meinte er es offenbar nicht ganz ernst. Im Gegenteil. »Es ist nicht unwahrscheinlich«, ließ er Cartwright höchst vertraulich wissen, »dass ich eine Dampfschifffahrt direkt zum Nordpol in Deutschland auf die Beine stelle und selbst begleiten werde.« Nur selten hat der Kartograf so unumwunden den Willen bekundet, bei der Ausführung des großen Plans selbst dabei zu sein. Dass er es jetzt, in der Aufregung des Februars 1865 tat, verrät seinen Überschwang: am besten sofort auf ein Schiff steigen und zum Pol dampfen, um den geliebten, verhassten Engländern ein Schnippchen zu schlagen. Ref. 138

Einer der Ersten, den Petermann diesseits des Kanals zu ködern versuchte, war der österreichische Admiral Bernhard von Wüllerstorf-Urbair: kein »Landratten-Admiral«, wie der Kartograf seinem Adressaten hochachtungsvoll bescheinigte, sondern der »erste der lebenden deutschen Navigatoren«. Von 1857 bis 1859 war Wüllerstorf mit der österreichischen Fregatte Novara um die Welt gesegelt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition füllten 21 Foliobände. Noch immer arbeiteten die Experten an der Auswertung des Materials. Unter den 26 000 naturkundlichen Fundstücken, die die Novara zurück nach Triest gebracht hatte, befand sich auch jener Ballen Cocablätter, aus dem der deutsche Chemiker Albert Niemann zum ersten Mal reines Kokain gewann. Bernhard von Wüllerstorf jedenfalls schien genau der Richtige, um eine wissenschaftliche deutsche Mission bis zum Nordpol und zurück zu bringen. Ref. 139

Wenn man Petermanns Korrespondenz mit dem Admiral durchsieht, drängt sich beinah der Eindruck auf, sein offener Brief an Murchison habe vor allem den Zweck gehabt, die Initiative der Briten durch eine Art sanfter Sabotage in die Irre zu führen. Von England sei im laufenden Jahr nichts zu erwarten, schrieb er dem Österreicher im Frühjahr 1865, da angesichts der zwei konkurrierenden Pläne »an ein gemeinsames Handeln, um die Genehmigung der Regierung und des Parlamentes zu erlangen, noch nicht zu denken ist«. Die günstige Gelegenheit gelte es umgehend zu nutzen! »Ich wünsche nichts sehnlicher und inniger, als dass Sie den Engländern zuvorkommen und den Nordpol vor der Nase wegschnappen möchten.« Und dann legte Petermann einmal mehr sein »Nordpol-Glaubensbekenntnis« ab: »Die bloße Erreichung des Nordpols ist eine kleine Sache, die von einem resoluten und unternehmenden Manne in einem kleinen Schraubendampfer in ein paar Monaten ausgeführt werden möchte.«

Angesichts solcher Zuversicht fing der Admiral sofort Feuer: Petermanns Schreiben habe sein Innerstes »in vollsten Aufruhr versetzt«, meldete er postwendend nach Gotha zurück. Nichts wäre ihm

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